Donnerstag, 12. August 2010

Die Welt der Berge...


Als nun Zarathustra so den Berg hinaufstieg, gedachte er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von Jugend an, und wie viele Berge und Rücken und Gipfel er schon gestiegen sei.
Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe die Ebenen nicht, und es scheint, ich kann nicht lange still sitzen.
Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen Schonung. Gelobt sei, was hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig - fließt!
 Es waren zwar nicht diese Worte die mich zu meiner Wanderung inspirierten, doch es waren diese  Worte, die mich während meiner Wanderung bestätigten und mich den Sinn derselben nie bezweifeln ließen.
Aufgrund der meteorologisch, für diesen Sommer wohl eher seltenen, günstigen Situation, beschloss ich am Wochenende, nach etwas Überwindung, eine längere Wandertour in die Höhen der Loferer Steinberge zu starten. Anfangs plante ich eine Übernachtung in der Schmidt-Zabierow-Hütte, allerdings bemerkte ich, als ich bereits beim Losgehen war, dass ich aufgrund meiner "Für-jeden-Fall-gerüstet-sein"-Organisation, welche in solch rauen Gefilden mit Sicherheit von Vorteil sein kann, so viel Ausrüstung hatte, dass diese eine eventuelle Übernachtung unter freiem Himmel zuließ. Schon bald bekam ich jedoch die 5kg über dem Tagestourenausrüstungsgewicht deutlich zu spüren; obwohl es nicht sonderlich heiß war, schwitzte ich viel und schon nach einer halben Stunde dachte ich an eine Rückkehr (Gedanke: Steinberge 1 Ich 0) und ich sah mich schon von den Steinbergen bezwungen.
Der erste Abschnitt erscheint einem zwar normalerweise immer schwieriger, aber dieses Mal war ich am Aufgeben. Ich machte erst einmal eine lange Pause und überredete mich selbst irgendwie dazu, noch 10 Minuten zu gehen und dann "schauen wir weiter".  Davor war ich aber wieder etwas bergab gegangen, um die Schwierigkeit eines eventuellen Abstieges abzuschätzen. 10 Minuten vergingen, selbes Szenario, und wieder hatte ich mich irgendwie überredet, weiterzugehen, denn nach einer kurzen Pause ist man manchmal überraschend schnell regeneriert. Dieses etappenweise "mich-selbst-austricksen" tat ich schließlich so lange, bis sich eine Rückkehr als absolut ineffizient erwies und ich geradezu hinaufgehen musste (dabei hatte ich gerade einmal 1/3 des Weges geschafft). Ich machte Rast an einer Quelle - die einzige und letzte auf dem gesamten Weg. Das rhythmische Plätschern und die Reflexionen ließen mich in Trance fallen und so saß ich dort wohl eine gute Viertelstunde auf nacktem Stein und starrte in die Quelle...Danach fühlte ich mich aber viel besser, und ich beschloss, zumindest bis zur Waldgrenze weiterzuwandern. Dort - kurz bevor die Vegetation karg wird - setzte ich mich zwischen die Latschenkiefern, verschnaufte kurz, und beschloss meinen Rucksack dort zu lassen um den weiteren Wegverlauf und die damit verbundenen Strapazen einzuschätzen. Wow- mit 10kg weniger am Rücken fühlt man sich plötzlich wie beflügelt! Wie eine Gämse hüpfte ich wieder zu meinem Rucksack runter, doch dann befiel mich eine Art Depression. Ich wollte nicht mehr. Es war eine Mischung aus Erschöpftsein, Heimweh, Trance und Hilflosigkeit. Da ein Abstieg von dort vermutlich gleich anstrengend gewesen wäre wie der Aufstieg, sah ich mich irgendwie verloren...Und plötzlich...wurde ich mir erst der Rauheit, der Gnadenlosigkeit dieser Bergwelt bewusst. Wie oft war ich hier schon auf- und abgestiegen, doch nie bekam ich das so zu spüren - hier waren Urgewalten am Werk; heute wie vor tausend Jahren. Man ist hier den Naturgewalten ausgesetzt, hier ist man nicht mehr Herr über diese, sondern die Natur ist hier Herr über den Menschen!
Nundenn, ich spielte die verschiedenen Alternativen (viele waren es ohnehin nicht) durch, und dachte daran, hier zu übernachten. Allerdings erschien es mir hier zwischen Felsen und Latschenkiefern unter hohen Berggipfeln und eventuell sogar in der Nähe von Kreuzottern zu unwirtlich. Ich musste also weiter - egal in welche Richtung. Mit einem taschenwarmen Energydrink und etwas Placebo-Effekt versuchte ich mich wieder aufzurappeln. Nun schaffte ich es bis über die Waldgrenze. Dort war ich erneut ziemlich erschöpft und machte Rast. Ich brauchte eindeutig etwas Energie, also entbehrte ich etwas aus meiner eisernen Ration Müsliriegel (Zucker ist in solchen Situationen schließlich von Vorteil). Was mir dann allerdings wohl wirklich den Antrieb gab, waren die Apokalyptischen Reiter, denn glücklicherweise hatte ich meinen MP3-Player mit eingepackt (auf die Idee brachte mich nicht zuletzt auch Gregors Sieböcks Buch "Der Weltenwanderer"). So spielte ich gleich das Album Samurai ab und war wieder motiviert. Mitsingend und schon fast in Trance schaffte ich nun ein beträchtliches Stück Weg ohne Pause. Erst bei der Wegabzweigung, von welcher es dann laut Tafel nurmehr 2 1/2 Stunden zu den Zielen sind, machte ich wieder Halt. Dort traf ich übrigens auch auf Menschen. Normalerweise genieße ich die Einsamkeit in den Bergen, doch dieses mal freute ich mich irgendwie darüber und fühlte mich etwas geborgener. Die Menschen gingen runter, ich rauf. Trotz der Illusion der Geborgenheit beschloss ich nach Rechts - in Richtung Schmidt-Zabierow-Hütte abzubiegen. 3 Stunden gibt der gelbe Wegweiser als Richtwert an; obwohl das meistens sehr übetriebene Werte sind (man braucht wesentlich weniger Zeit) schien dennoch ein ganzes Stück Weg vor mir zu liegen. Nachdem ich nach ca. 15 min. die Ulrichsgrube erreicht hatte, dachte ich plötzlich nach, ob denn der Weg über das Mitterhorn nicht alternativenreicher wäre. Denn; Daumen mal Pi käme ich ca. um 20 Uhr bei der Hütte an. Um den Sonnenuntergang zu sehen, müsste ich allerdings von der Hütte wieder aufsteigen, und der nächste Berggipfel mit Aussicht nach Westen ist das Mitterhorn, welches ich dann erst nach Sonnenuntergang erreicht hätte, wenn ich von der Hütte ausgegangen wäre. Ich zog in Erwägung, den Sonnenuntergang auszulassen, doch dann kam in mir wieder der Gedanke hoch "Mensch, wie oft hast du die Gelegenheit, den Sonnenuntergang anzusehen! Wer weiß, wann du diese je wieder haben wirst!?". Also machte ich kehrt und ging bis zu Abzweigung zurück; damit waren gute 25 Minuten verschwendet, aber der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Bei der Abzweigung wählte ich jetzt also den altbekannten, geradezu vertrauten Weg aufs Mitterhorn. Auch wenn ich die maximale Aufstiegszeit von 2:30h brauchen sollte, so hätte ich immer noch die Möglichkeit mir den Sonnenuntergang anzusehen, und im Falle, dass die Temperatur keine Übernachtung zulässt, zur Hütte absteigen zu können. Die ersten Meter des vertrauten Weges waren jedoch hart mit so viel Gepäck. Es dämmerte bereits und eine melancholische Stimmung tat sich auf, zumal ich gerade Forseti horchte. "Nein- so komme ich keinen Schritt weiter", dachte ich mir. Also wählte ich beim MP3-Player wieder die Apokalyptischen Reiter aus und die Motivation war wieder da. Vermutlich lag es daran, dass ich den Weg schon in- und auswendig kannte, aber die Serpentinen über dem Schneefeld stieg ich wie in Trance und überraschend schnell auf. Der letzte Abschnitt, welcher zum Klettersteig führt, zog sich dann natürlich in die Länge und erschöpfte mich, zumal das Album nun zu Ende war. Der Kalkstein war rau und schürfte meine Handflächen auf. Und dann -endlich!- war die markante Leiter, die den Einstieg zum Klettersteig bedeutet, in Sichtweite. Ich eilte förmlich dorthin, doch meine Beinmuskeln ließen es nicht ganz zu, bis dorthin in Einem zu gehen. Doch kurz davor war eine schöne, weiche Grasfläche. Dort legte ich mich kurz hin, mit dem beruhigenden Gedanken, dass der Gipfel über den Klettersteig in nicht einmal 20 Minuten zu erreichen war, und tankte etwas Kraft. Da ich den MP3-Player nun verstaut hatte, wurde ich mir nun der wunderbaren Stille wieder bewusst. Obwohl mich der große Rucksack etwas behinderte, wählte ich den Klettersteig für den Aufstieg. Mit solchem Gepäck erweist es sich dann aber doch als schweißtreibend, sich an den Tritteisen hochzuziehen. Doch mit dem Wissen, der Gipfel käme immer näher, schaffte ich es letztendlich fast in Einem bis zum Gipfel. Welche Wohltat als ich diesen endlich sehen konnte! Und dann sah ich auf dem Gipfel noch eine Silhouette. Ein Mensch! Ich hätte mir nie gedacht, dass ich mich darüber freuen würde, aber dieses Mal freute ich mich unheimlich, etwas Gesellschaft zu haben. Hechelnd und völlig erschöpft kam ich nach einer Gehzeit von ca.1:50 (von der Abzweigung aus. Gesamt also ca. 4 1/2 - 5h) auf dem Gipfel an. Meine Oberschenkel schmerzten und ich konnte/wollte für eine Weile keine zehn Meter gehen. Der freundliche Mann mit adäquater Bekleidung begrüßte mich und fragte mich, ob ich ihm wohl Gesellschaft über Nacht leiste.

Und da war die Überzeugung da, auf dem Gipfel zu übernachten! Entschlossen bejahte ich diese Frage. Ich weiß nicht, ob ich am Gipfel übernachtet hätte, wenn niemand oben gewesen wäre. Wahrscheinlich nicht, da es das erste Mal sein sollte, dass ich in solch rauen Gefilden unter freiem Himmel übernachte. So konnte ich mit einem angenehmen Sicherheitsgefühl Erfahrung sammeln. Der Mann hatte ein Stativ dabei und hielt die einzigartigen Lichtstimmungen mit seiner DSLR fest. Dem schloss ich mich gleich an, eben nur mit meiner Kompakten, aber was soll's. Nachdem ich die Bergübernachtungstauglichkeit meines Schlafsackes und die Windgeschütztheit meines Schlafplatzes durch ein kurzes Probeliegen abgewogen hatte, festigte ich den Entschluss oben zu übernachten und wartete auf den Sonnenuntergang. Bevor sich die Sonne endgültig gen Horizont begab, ließ sie die aufsteigenden Nebelschwaden golden leuchten...
Gegen 20:40 dann kam der Moment, auf den ich gewartet hatte; der Sonnenuntergang. Im Tal ist aufgrund der umliegenden Berge die Sonne beim Untergehen meistens noch hellgelb strahlend zu sehen, hier hatte ich jedoch Blick bis zum Horizont. Das wunderschöne Farbenspiel des Abendrots und der untergehenden Sonne, welche den Himmel nahezu in den Spektralfarben erscheinen ließ, begann.




 Die Aussicht reichte bis zum Chiemsee...

...und irgendwann war nurmehr ein schmaler roter Streifen von der Sonne zu sehen

Der Nachteinbruch, oder "Nightfall", wie es im Englischen so schön heißt, zeigte, dass die Nacht alles andere als nur schwarz ist...


In der Nacht konnte man die Lichter der vielen Städte und Ortschaften sehen. Als ich mich zu später Stunde noch einmal aus dem Schlafsack quälte, blickte ich in Richtung Nordosten, als ich plötzlich etwas Großes, orange leuchtendes sah. Ich dachte zunächst an eine von Scheinwerfern beleuchtete Kirche auf dem Berg oder etwas in der Art (wobei es schon eher wie der Taj Mahal aussah), doch als es wenig später höher am Himmel stand, war mir klar, dass es der von der Abendsonne beleuchtete, riesengroße Mond war!

Ich versuchte, alles aus dem winzigen Sensor und Objektiv meiner kompakten Kamera rauszuholen und kauerte mich hinter das Mini-Stativ. Die Temperatur lag gefühlt vermutlich schon unter dem Nullpunkt (den eiskalten Wind berücksichtigt), da meine Finger am Metallgehäuse der Kamera zu kleben begonnen.
Danach legte ich mich zufrieden in meinen Schlafsack. Ich hatte mein gesamtes Repertoire an Kleidung angezogen, da es trotz Schlafsack recht kalt war und ich gewichtsbedingt nur eine dünne Iso-Matte mitgenommen hatte. Nachdem ich noch schnell meinen Wecker auf halb 5 gestellt hatte, fiel ich in eine Art Halbschlaf; etwas zwischen Wachsein und Schlafen; gewissermaßen eine "Aufwachbereitschaft". Da ich einen windstillen Schlafplatz hatte, war es erträglich im Schlafsack, doch so gegen halb 2 morgens drehte der Wind und es war eiskalt, was mich auch aufwachen ließ. So fror ich eine Weile vor mich dahin, wenig später wurde es aber wieder besser und ich schlief völlig ein. Pünktlich wachte ich auf, blieb aber noch liegen. Der Mann, welcher auf der anderen Seite des Gipfels geschlafen hat, war auch schon munter, und weckte mich. Ich stellte mich zum Gipfelkreuz und wartete auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen.
Und dann endlich! der Sonnenaufgang! Für diesen Moment hatte ich mir "Also Sprach Zarathustra" von Richard Strauss in meinem MP3-Player bereitgestellt. Atemberaubend!


Spätestens jetzt wusste ich, dass sich das alles gelohnt hatte. Wunderschön ist es, zu beobachten, wie die Finsternis allmählich dem Licht weicht, und zu fühlen, wie sehr einen doch schon die ersten Sonnenstrahlen nach so einer Nacht wärmen können.
Nachdem ich meinen Schlafsack zum Trocken aufgehängt hatte, "frühstückte" ich erst einmal etwas (die Müsliriegel waren sogar gefroren). Die dünne 2€ billige Iso-Matte sah aus wie ein Schweizer Käse, so lädiert war sie vom steinigen Untergrund.

Während der Mann bereits beim Losgehen war, schoss ich noch ein paar Fotos vom morgendlichen Panorama. Die Hohen Tauern erstrahlten im Morgenrot...

Und unter mir lag, teils im Nebel, das verschlafene Pillerseetal...

Als ich in Richtung Kitzbühel blickte, sah ich den imposanten Schattenwurf des Mitterhorns. Wäre die Sonne wohl nur ein paar wenige Grad günstiger gestanden, so hätte es an der Spitze des Schattens zu einer Glorie oder einem Brockengespenst (spektralfarbener Kranz um einen Schattenwurf auf Nebel) kommen können.


Etwa gegen 8 Uhr dann hatte ich alles zusammengepackt, genoss noch für eine Weile die Ruhe und das Morgenlicht am Gipfel, und wollte mich auch ins Gipfelbuch eintragen, welches aber weg war. Ich brach zur nächsten Etappe auf - Abstieg in Richtung Schmidt-Zabierow Hütte. Nach etwa einem Drittel des Abstieges kam ich an einem wunderschönen, exponierten Felsplateau über einer Schlucht vorbei. Nach ein paar eher missglückten Selbstauslöseraufnahmen á la "Wanderer über dem Nebelmeer" von C.D.Friedrich ging ich, schweren Herzens, wieder weiter, obwohl ich spekulierte, auf dem Plateau eine Weile zu verweilen...Nachdem ich etwa 10 Minuten gegangen bin, dachte ich wieder an das Plateau und wieder kam mir der Gedanke "Hey, vielleicht wirst du so bald keine so günstige Gelegenheit haben..." und ich machte kehrt und stieg wieder hinauf zum Plateau, wo ich mich erstmal hinsetzte und ein wenig Musik hörte. Dann las ich wieder mal ein wenig in Also Sprach Zarathustra und kam auch beim Kapitel "Der Wanderer" vorbei. Stimmiger hätte es kaum kommen können...Ich saß wohl eine ganze Weile dort, habe aber seit Aufbruch vom Gipfel nicht auf die Uhr geschaut, und beschloss, dies auch weiterhin nicht zu tun. Irgendwann kam ich dann den vertrauten Weg zur Hütte runter, welcher sich als vergleichsweise bequem erwies; vielleicht weil mein Rucksack mir irgendwie Rückhalt gab. Ich kam also bei der Hütte an und fragte, ob ich meinen Rucksack dort deponieren dürfte. Das Praktische an diesem Rucksack ist nämlich, dass er einen kleinen, abnehmbaren Zusatzrucksack an der Vorderseite hat, also ideal für eine "Zwischenwanderung". Freundlicherweise durfte ich den Rucksack dort ablagern und nahm eine 1,5l Flasche Wasser und eben das Wichtigste mit. Mein Ziel war das Große Reifhorn. Der gelbe Wegweiser zeigte als Richtwert eine Aufstiegszeit von 1 1/2 Stunden an. Erfahrungsgemäß weiß ich jedoch, dass diese Zeitangaben absolut unzuverlässig sind. Meistens sind sie stark übertrieben, was aber noch nicht so schlimm ist. Tückischerweise sind sie aber gerade auf dieser Seite der Steinberge eher etwas untertrieben. Die ersten 15 Minuten ging es über ausgeprägte, lange Karrenfelder (Karre = Verwitterungserscheinungsform von Kalk, siehe Wikipedia), die das Sonnenlicht stark reflektierten. Sonnenschutzmittel war angesagt, denn erfahrungsgemäß holt man sich in den Bergen sehr schnell einen starken Sonnenbrand. Nach dieser Passage war es aber zunehmend schattig und recht angenehm. In Serpentinen und über Felsstufen verlief der Weg, in Blickrichtung des Gipfels. Es kamen einfache, ungefährliche Kletterpassagen, die an einem stark bewanderten Weg vermutlich gesichert wären. Für etwas erfahrenere Bergsteiger jedoch unproblematisch. Doch als ich glaubte, den Gipfel bald im Blickfeld zu haben, ging es plötzlich geradeaus und ums Eck, und ich ging nun über der Schlucht mit Blick auf die imposanten Felsabstürze des Ochsenhorns. Ich ging nun relativ steil bergauf und die Sonne brannte vom Himmel...Bei der Hitze fiel es schwer, das Wasser zu rationieren. Es folgten nun einige exponierte Stellen, von denen nur eine einzige durch eine Trittstufe gesichert war.
Dann holte ich auch einen Wanderer ein, den ich schon beim Aufbruch von der Hütte kurz vor mir gesehen hatte. Angesichts der doch etwas schwindelerregenden Höhe gab mir das eine gewisse Sicherheit. Der ziemlich ausgesetzte Steig zog sich in die Länge und begann mich zu langweilen. Dann endlich der entscheidende Einschlag nach Rechts. Es folgte eine steile Rinne, die zwar nur leichte Kletterei, jedoch etwas Schwindelfreiheit erforderte. Danach glaubte ich schon, am Gipfel zu sein, aber denkste! Es galt nun auf dem Grat weiterzugehen. Kurz vor dem Gipfel folgte eine weitere exponierte Stelle, die mit Trittstiften und -eisen gesichert war. Irgendwie fragte ich mich ständig, wie ich da nur wieder runterkommen sollte. Dann sah ich endlich das Gipfelkreuz. Schwer einzuschätzen, da ich beim Losgehen nicht auf die Uhr geschaut hatte, aber ich war wohl mehr als 1 1/2 Stunden unterwegs. Der Aufstieg war doch um einiges anspruchsvoller als der auf das Mitterhorn oder das Ulrichshorn. Für mich war es bisher zwar nicht der längste, aber wohl der anspruchsvollste Aufstieg. Vielleicht erschien es mir mitunter auch deshalb so, weil ich doch etwas erschöpft vom Vortag war, und nicht allzu ausgeschlafen. Am Gipfel angekommen gönnte ich mir erst einmal eine anständige Jause. Ich verweilte oben eine ganze Weile, bis ich mich wieder einigermaßen ausgeruht fühlte.
Schnell machte ich von oben noch ein Foto von der Schmidt-Zabierow-Hütte, welche in dem grauen Gestein kaum zu sehen war.



Da nun der Wanderer, welcher fast gleichzeitig mit mir den Gipfel erreicht hatte, auch aufzubrechen schien, beschloss ich, das auch zu tun, denn bei dem Abstieg ist es sicherer, wenn man nicht alleine geht. Die Kletterstellen waren jedoch schneller und problemloser überwunden, als ich dachte, und schon bald erreichte ich auch wieder die Schattenseite. Da meine Jause dummerweise großteils aus Dauerwurst bestand, die ja recht salzig ist, bekam ich unterwegs noch ziemlichen Durst, und die 1,5l waren schnell verbraucht - zu schnell. Ich hatte insgesamt 5 Liter Wasser mitgenommen - fast zu wenig für nichteinmal zwei Tage in den Bergen. Der Abstieg ging - den Blick stets auf die sich nähernde Hütte gerichtet - relativ schnell. Bei der Hütte angekommen, war ich ziemlich verschwitzt und hatte starken Durst. Ich bestellte mir schnell einen halben Liter Leitungswasser, den ich fast in einem Zug leerte. Auf der Toilette versuchte ich eine meiner leeren Flaschen zu füllen, was mir aber aufgrund der ungünstig geformten Waschbecken nicht gelang. Bei der Hütte traf ich auch einen guten Freund, der von Lofer aus aufs Mitterhorn unterwegs war, und hier einen kleinen Zwischenstopp einlegte. Wir brachen gemeinsam auf und trennten uns dann bei der Abzweigung. Vor mir lag also nun der sehr ermüdende und ernüchternde Abstieg ins Loferer Hochtal - ohne Wasser... In ewigen Serpentinen - ich habe ab und zu mitgezählt; es sind sicher gute 50 Kurven - ging ich ins Tal. Ich überholte zwar ein paar Leute, wurde selbst aber auch öfters überholt. Bis ich die Waldgrenze erreicht hatte, rastete ich ein paar Mal und stillte meinen Durst provisorisch mit einem saftigen Apfel, womit ich meinen Proviant endgültig aufgebraucht hatte. Im Wald angekommen ging ich einfach nurmehr. Zwar exponentiell langsamer werdend, aber ich ging, auch wenn meine Beine bis zu den Fußsohlen langsam zu schmerzen begannen. Unterwegs kam ich an zwei plätschernden, kühlen Quellen vorbei. Welch eine Versuchung der ich hier widerstehen musste! Ich war mir nämlich nicht sicher, ob das Trinkwasser ist, schließlich könnten weiter oben ja auch Kühe grasen...Besser kurzfristig durstig bleiben, als vielleicht später krank zu sein, dachte ich mir. Und zu dehydrieren drohte ich schon gar nicht, schließlich hatte ich gerade vor einer Stunde getrunken. Ich hatte so an die 2/3 oder sogar 3/4 des Weges hinter mir, und da war wieder diese "Depression" die ich schon beim Aufstieg hatte. Ich mochte nicht mehr. Der Weg war so ermüdend und erschöpfend...Durchgerüttelt saß ich am Wegrand und versuchte mich etwas auszuruhen. Ich hatte noch etwas Traubenzucker dabei. Den aß ich, in der Hoffnung, zumindest physisch wieder auf die Beine zu kommen. Halb glykämisch optimiert, halb Placebo rappelte ich mich nach einer ganzen Weile Rast wieder auf, irgendwie mit militärischen Übungsgedanken und solchem Quatsch. Von nun an ging ich bis zum Parkplatz, wo mich später mein Vater abholte, in einem durch. Am Parkplatz angekommen, hätte ich den Boden küssen können, wäre dieser nicht von Kuhfladen kontaminiert gewesen. Auf dem Bänkchen setzte ich mich hin und verfiel in einen tranceartigen Zustand der Erschöpfung, Entspannung und Regeneration und hätte auf der Stelle einschlafen können. Zufrieden sah ich den Wanderern zu, die nach der Reihe hechelnd und ächzend zum Parkplatz kamen. Wie sehr bemitleidete ich doch den armen älteren Herrn, der ohnehin wohl schon Schwierigkeit beim Abstieg hatte und den seine Gattin dann noch die gesamte Schotterstraße vom Parkplatz bis zur Straße gehen ließ...
Irgendwie war ich mir da unten nun gar nicht mehr so richtig bewusst, was ich da oben alles gemacht habe. Fast schon "es ging alles so schnell"...

Und wie sehr freute ich mich daheim über die kühle Dusche und das weiche Bett. Selten kann ich so genüsslich schlafen, wie nach solchen Aktionen. Und erst am nächsten Tag, als ich mir dann die Fotos ansah, wurde mir erst so richtig bewusst, wie viele unglaublich schöne und atemberaubende Momente das waren...Man könnte schon fast sagen, ich hab eine Weile gebraucht, um das zu verarbeiten...

"Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu allem, wenn es nur lebt! Zum Lachen ist wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in der Liebe! Also Sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male...Und so geschah es, daß der Lachende weinte - vor Zorn und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich

Mit diesem Auszug aus "Also Sprach Zarathustra" von Friedrich Nietzsche beende ich meinen Bericht. Ob Sie diesen nun einfach so gelesen haben, oder als Ratgeber für eine eventuelle Tour in die Berge, kann ich jedem, der die Stille, die Ruhe, die Bescheidenheit aber auch irgendwo die Rauheit liebt, sofern er kann, diese eigene Welt, die der Berge, empfehlen. Natürlich hat jeder so seine Orte der Kraft, der Ruhe, und für manche ist es vielleicht auch ein Stand, oder Dünen...Wer aber noch auf der Suche nach seinem "Umfeld" ist, der sollte einmal eine Tour in die Berge versuchen...

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P.S. Falls Sie sich fragen, warum der Bericht so detailiert und lang ausfällt; nun, erstens ist es irgendwie meine Art, ich bin ein Mensch der dem Detail zugeneigt ist und ich so mein Erlebnis selbst nochmal durchleben kann, und das, auch wenn es schon viele Jahre her ist...Klar, vielleicht gibt es Menschen, die so etwas jede Woche machen und für die so etwas nichts besonderes ist, aber ich schätze mir diese Erfahrungen einfach unheimlich und möchte sie auch eben gerne teilen. Zweitens können vor allem ausrüstungsbezogene Angaben nützliche Informationen für die Planung einer solchen Tour enthalten. Und Drittens brauche ich mich vor Ihnen nicht zu rechtfertigen...ach so, das mache ich ja gerade freiwillig ;)
Außerdem möchte ich hinzufügen, dass dieser Artikel -so wie alle andere- weniger die Absicht hat, mich selbst zu profilieren, sondern vielmehr Erlebnisse, Erfahrungen und all dies zu teilen...Not showing but SHARING!