Mittwoch, 15. September 2010

Die Muse der Muße

"Ich liebe die Bequemlichkeit und finde es äußerst mühsam, geistreich sein zu müssen." 
          Molière, Die gelehrten Frauen, 3,4

Bequemlichkeit ist ein Feind des wachsenden Geistes. So wie das Cocablatt dem Hunger, ist die Bequemlichkeit dem Wissenshunger eine Droge. Zwar lässt sie einen den Hunger vergessen, er ist jedoch stets da, bis man eines Tages verhungert oder zumindest immer dünner wird...

"Soll ich nachdenken oder nicht?"

Bequemlichkeit, oder, in diesem Zusammenhang auch "der innere Schweinehund", ist verführerisch. Die großen und tiefgehendsten Fragen der Philosophie, der Quantenphysik und einfach allem, was an den Grenzen bzw. sogar außerhalb unseres Verstandes liegt, sind anstrengend, sie bereiten einem Kopfschmerzen und schlaflose Nächte. Ist es denn nicht viel bequemer sich mit dem Gedanken, man könne sie ohnehin nicht beantworten und wenn doch, von welcher Relevanz wäre es schon für uns, ganz zu schweigen von der Relativität, die damit einhergehen würde, hinzulegen und dem Nichtstun zu frönen?
Und wenn es schon nicht die Muße ist, der man frönt, dann ist es doch das "passive Denken", das so verführerisch ist. Lieber liest man ein philosophisches Buch um latente Gedanken und Ideen bestätigt zu sehen als selbst über die Fragen nachzudenken und lieber sieht man einen Film über das Erreichen von Höherem, als selbst Höheres zu erreichen versuchen. Ist es nicht so? In den Ferien fiel es mir schwer, wieder einmal so richtig über die Dinge nachzudenken. Zwar fiel mir das Überwinden des "physischen Schweinehundes" also die sportliche Betätigung und das Wandern weniger schwer, doch das Überwinden des "geistigen Schweinehundes" umso mehr. Es gab viele Gelegenheiten -auch unterm Wandern- in denen ich hätte philosophieren, nachdenken oder schreiben können, doch die Verlockung, sich einfach treiben zu lassen und die Leere im Kopf zu genießen, war unglaublich groß. Genauso hatte ich oft Ideen für Bücher, Filme, Fotos, Szenen…bei denen ich mich einfach nicht dazu bequemen konnte, sie niederzuschreiben, geschweige denn, weiterzuentwickeln.
Dahingehend verstehe ich es allmählich, oder kann es zumindest nachvollziehen, wenn sich Menschen nicht an tiefgründige philosophische Fragen oder überhaupt an das, was an den Grenzen unseres Verstandes liegt, heranwagen, finde es also nicht feige, aber natürlich auch nicht ehrenswert sonder doch immer noch ein klein wenig fraglich um es humorvoll zu erklären.
Ja, es galt sogar die Verlockung, fern zu sehen anstatt Bücher zu lesen zu überwinden, denn auch im Fernsehen kommen oft interessante Beiträge (Dokus, Survivalserien etc.) die einen auch weiterbringen, jedoch noch viel passiver, also psychisch noch weniger anstrengend sind, als Bücher, da die audiovisuelle Komponente passiv anstatt interaktiv geliefert wird.  
Vielleicht kommt es ja auch daher, dass ich unter dem Schuljahr geistig voll ausgelastet bin und wenn dann die Ferien kommen, braucht man wohl auch psychisch etwas Ruhe, so wie es wohl ist, wenn man lange Zeit körperlich hart arbeitet, dann wird man sich in der Freizeit wohl auch eine Weile schwer tun, sich zu physischer Anstrengung zu überwinden.
Es ist also wohl der Stress, das hektische Leben, die Schnelligkeit, die das heutige Alltagsleben mit sich bringt, die die Muße, also die Bequemlichkeit zu einer unproduktiven Zeit machen. In der Hektik ist kein Platz mehr für Meditation und die Muße dient der Erholung, sie muss der Erholung dienen, und nicht dem Nachdenken bzw. der Produktivität.

Jetzt rein angenommen, es gäbe so eine Art "göttlichen Plan", oder quantenphysikalisch gesehen morphogenetische Felder, auf deren Prinzip die Evolution beruht, d.h. wenn sich eine vieler unzähliger Möglichkeiten als erfolgreich (erfolgreich könnte man hier auch "mit Reproduktionswille" synonymisieren) erwiesen hat, sich diese immer weiter und/oder öfter entwickelt, ist unser Hang zur Bequemlichkeit oder, dass die Mehrheit den tiefgründigen Fragen aus dem Weg geht oder sie überhaupt ignoriert, darauf zurückzuführen oder sogar, um ins Religiöse zu schweifen, darauf, dass wir diese Bereiche unberührt lassen sollen, es aber immer Ausreißer, Rebellen, PHILOSOPHEN geben wird? Wie dem auch sei, Sir Isaac Newton war einer dieser bemerkenswerten Kämpfer. So sehr ihn eine Frage auch gequält hat -egal wie aussichtslos, paradox oder unlösbar sie ihm erschien- er hat nicht aufgegeben und ist ihr bis er eine zufriedenstellende, befriedigende Antwort hatte, nachgegangen, solange es auch gedauert hat oder dauern mochte.
Scheinbar muss ich diesen Kampfgeist noch ein wenig trainieren, wodurch und wann auch immer, denn öfters kommt in mir z.B. der Gedanke auf „Was ist jetzt eigentlich Gravitation und wie entsteht sie wirklich?“ und ich beginne nachzudenken, schaue mir hin und wieder sogar ein paar Formeln an, verwerfe es dann aber irgendwie wieder, weil ich ständig in Sackgassen lande und genauso ist es mit vielen anderen Themen.
Es ist genau dieser Kämpfergeist und vielleicht in gewissen Fällen ein optimiertes Potential, das die großen Köpfe, die großen Denker und Wissenschaftler der Geschichte und der heutigen Zeit, von den anderen unterscheiden. Ich kann mich nur immer und immer wieder wiederholen: Das Potential hat (fast) jeder; es zu nutzen wagen sich nur wenige...

Eigentlich müsste jeder, der geistig wirklich Höheres erreich will seine Lebenseinstellung bzw. sein Lebenstempo soweit verändern bzw. verlangsamen, dass er so viel Muße hat, dass er sich mehr als nur erholen kann und ihm geradezu langweilig wird, und er wieder nachzudenken beginnt. Das ist möglich, sei es nun durch eine Weltreise, wie sie Gregor Sieböck gemacht hat ("Auf der Suche nach der Langsamkeit"), durch Mut zur Bescheidenheit oder indem man sich z.B. zum Buddhismus bekennt. Um das zu tun müsste man aber eben erst einmal den inneren Schweinehund überwinden...


2 Kommentare:

  1. achja, die bequemlichkeit kann uns allen ein Lied singen

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  2. mhmm schon recht schon recht: menschlich, allzu menschlich könnte man auch sagen;
    dein schreibstil is teilweis echt zach
    aber auch der klügste kopf darf mal frei sinnieren und nicht nur denken
    mg
    waldgänger

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